Die Welt erlebt aktuell einen Kaskadeneffekt von Vertrauenszusammenbrüchen. Die Gesellschaft hat das Vertrauen in das Funktionieren der Märkte verloren. Überall herrscht Misstrauen. Wo aber Vertrauen fehlt, brechen die Märkte zusammen. Märkte und Gesellschaften sind somit auf Vertrauen angewiesen, um zu funktionieren. Die ökonomische Struktur der Ressource Vertrauen hat der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Kenneth Arrow als das wichtigste „Schmiermittel eines sozialen Systems“ bezeichnet. Es ist extrem effizient, erspart viele Probleme und biete ein faires Maß an Verlässlichkeit auf das Wort anderer Menschen. Begriffe wie Vertrauen, Loyalität und Wahrheit – von Ökonomen als Externalitäten bezeichnet – haben einen realen und praktischen ökonomischen Nutzen, denn sie erhöhen die Effizienz und steigern die Produktivität der Menschen. Nur: Vertrauen ist kein Gut, das man an jeder Ecke kaufen kann.
Vertrauen hat seinen Preis.
Aber warum vertrauen wir einander? Die Antwort ist recht einfach: Durch Vertrauen wird das Leben einfacher. Vertrauen schafft Sicherheit. Vertrauen ist ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Vertrauen ist also ein vernünftiger Akt, um möglichst sorglos und passabel durch das Leben zu kommen. Das führt zwangsläufig zu der Frage: Was ist eigentlich Vertrauen? Wie alles im Leben hat auch Vertrauen seinen Preis. Um es mit dem deutschen Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann zu sagen, impliziert Vertrauen zwingend eine „riskante Vorleistung“, verbunden mit der Hoffnung auf Gegenleistung. Denn ob der andere das ihm entgegengebrachte Vertrauen erwidert, ist nicht sicher. Das Risiko der Enttäuschung lässt sich nicht vom Tisch wischen. Unsicherheit und Angst bleiben.
Vertrauen erzeugt Vertrauen.
Vertrauen kann aber nicht erzwungen werden und ökonomische Anreize zur Vertrauensbildung sind schwer vorstellbar. Das Risiko eines gewährten Vertrauensvorschusses wird nur mit jeder Wiederholung einer erfüllten Vertrauensleistung ein Stück weit mehr minimiert. Wird der erste Vertrauensvorschuss nicht enttäuscht, besteht die begründete Hoffnung, dass es auch das nächste Mal gut geht. „Trust breeds trust“ – Vertrauen erzeugt Vertrauen. Kapital und Arbeit allein reichen nicht aus, um Märkte am Laufen zu halten. Nur wo Vertrauen herrscht, gibt es auch die Sicherheit, nicht hintergangen zu werden. Vertrauen verbessert so die Effizienz, weil es Investitionen fördert, und Transaktionskosten reduziert mit dem Effekt, dass in einer vertrauensvollen Umgebung die Wirtschaftserträge steigen. Und weil Vertrauen seinen Verpflichtungscharakter auf die Zukunft einzahlt, sichert es den Marktteilnehmern über einen gewissen Zeithorizont stabile Beziehungen.
Reputation stabilisiert Vertrauen in virtueller Distanz.
Anonymität ist der Vertrauensbildung dagegen nicht sonderlich zuträglich. Nur wenn sich Personen gut kennen, können sie in der Regel gegenseitiges Vertrauen aufbauen. In kleinen Gruppen fällt die Vertrauensbildung deshalb auch leichter als in großen Gruppen. Dabei ersetzt die Zugehörigkeit zur gleichen Gruppe oft die persönliche Bekanntschaft als Basis des Vertrauens. Naturgemäß wird der Vertrauensaufbau bei Fernbeziehungen schon schwieriger. In diesem Fall ist die Reputation der Marktteilnehmer ein wesentlicher Indikator von Vertrauenswürdigkeit und kann Vertrauen auch in virtueller Distanz stabilisieren.
Fehlendes Vertrauen sorgt für Wohlstandsverlust.
Wenn Vertrauen in einer Gesellschaft nicht vorausgesetzt werden kann und als gesellschaftliche Ressource fehlt, ist es rational verständlich, wenn sich die Menschen Schutz bei spezialisierten Organisationen, wie z.B. der Mafia, kaufen. Die Folgen sind allerdings katastrophal, denn das Gebietsmonopol der Mafia unterbindet Wettbewerb und liefert keine Anreize zu Innovationen. Eine Welt, der das Vertrauen abhandengekommen ist und in dem persönlicher Schutz als privates Gut angeboten werden muss, erleidet erhebliche Wohlstandsverluste. Wenn Vertrauen also existenziell ist, stellt sich zwangsläufig die Frage nach seiner Entstehung und dem Wiederaufbau, wenn es erst einmal verspielt wurde?
Für Vertrauen gibt es keine rationalen Gründe.
Bei Fremden, die sich nicht kennen, existiert das klassische Instrumentarium zur Risikoprüfung eines Vertrauensvorschusses nicht. Was fehlt, sind die Kenntnisse über die Spielregeln, nach denen der jeweils andere spielt. Erst dann, wenn beide Akteure oder Gruppen miteinander vertraut sind, lässt sich der Grad der Kooperationsbereitschaft abschätzen. Jeder Kooperationsgewinn wird beiden Parteien als Beweis dafür dienen, dass sich Vertrauen auszahlt. Ob sich Vertrauen auszahlt, lässt sich nicht voraussagen. Für den ersten Schritt ins Vertrauen gibt es keine rationalen Gründe. Der Aufbau von Vertrauen kommt ohne dieses irrationale Moment schwerlich aus. Es gilt die Devise: „Just do it“.
Vertrauen wird mit Vertrauen erwidert.
Nach William James, Begründer des philosophischen Pragmatismus, ist die Überbrückung der Verletzlichkeit und Unsicherheit der „Willen zum Glauben“ als Initialzündung des Vertrauens. Wer den Sprung wagt, wird laut dieser existentialistischen Terminologie erfahren, dass das Vertrauen erwidert wird. Erst durch Vertrauen lässt sich Vertrauen herstellen. Hier zeigt sich das ganze Dilemma der Weltwirtschaft. Denn für die Rückeroberung von Vertrauen, Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand, gibt es keinen Masterplan. Der reflexhafte Ruf nach Kontrolle bei Vertrauensmissbrauch führt nur zu einer Spirale des Misstrauens. Auch in Vertrauenskrisen gilt es daher trotz aller Widrigkeiten, Ungewissheiten zu akzeptieren und nur das Gute zu sehen.
Erfolgreiche Führung basiert auf Vertrauen.
Auf Unternehmensebene gibt es einen betriebsinternen Parameter, der nachweisbar signifikant korreliert mit dem Unternehmensergebnis: die positive oder negative Beziehung zum unmittelbaren Chef. Ist die Beziehung gut, steigt die Produktivität. Ist sie schlecht, sinkt sie. Innerhalb einer als positiv erlebten Beziehung ist das wichtigste Merkmal: Vertrauen. Vertrauen als Summe von Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit, Geradlinigkeit ist die Basis guter Führung. Sich führen lassen heißt, sich jemandem anvertrauen.
Der inhaltlichen Botschaft geht die Vertrauensbotschaft voraus.
Vor allem für das Führungsparadigma der Selbstverantwortung, das im Geführten den Mitunternehmer und intelligenten Träger (nicht Zu-Träger) der Unternehmensentwicklung sieht, ist Vertrauen die einzige mögliche kommunikative Basis. Die wechselseitige Angewiesenheit der Partner aufeinander erzwingt die konsequente Tilgung der kontrollierenden Elemente alter Führungsparadigmen. Der inhaltlichen Botschaft an die Mitarbeiter geht immer die Vertrauensbotschaft voraus. Das Vertrauen der Mitarbeiter entscheidet, wie ein Filter darüber, ob die inhaltliche Botschaft überhaupt gehört wird. Keine Führungskraft kann Menschen beeinflussen, führen, sie mit auf die gemeinsame Reise nehmen, wenn ihr nicht vertraut wird. Menschen sind bereit, einem anderen Menschen zu folgen, wenn sie ihm vertrauen, selbst wenn sie seine Absichten nicht teilen.
Der Vertrauensbeweis gleicht das Beziehungskonto aus.
Andererseits verpflichtet Vertrauen. Es erzeugt Ansprüche. Es bindet. Je größer die riskante Vorleistung ist, desto größer ist die verpflichtende Wirkung. Warum ist das so? Weil Menschen den Ausgleich suchen. Geben und Nehmen müssen im Gleichgewicht sein, wenn wir uns entspannt fühlen sollen. Das ist das Gesetz der Reziprozität. Wenn nun der andere in uns investiert, dann verlieren wir für einen kurzen Augenblick unser Gleichgewicht. Wir fühlen uns dem Geber verpflichtet. Wenn wir für vertrauenswürdig gehalten werden, dann fühlen wir einen starken Druck, den wir nur mildern können, indem wir etwas zurückgeben. In diesem Fall, indem wir dem Vertrauen entsprechen. Man könnte auch sagen: Vertrauen ist wie eine Hypothek, wie eine Einzahlung auf ein imaginäres Beziehungskonto, das der andere mit einer Gegenleistung ausgleichen muss, wenn er nicht sein inneres Gleichgewicht verlieren will. Mit dem Vertrauensbeweis erfolgt der Ausgleich des Beziehungskontos.
Gestaltungsräume für persönliches Führungsverhalten.
Vertrauen ist aber auch immer bidirektional. Nicht nur der Mitarbeiter muss der Führungskraft vertrauen, sondern die Führungskraft auch dem Mitarbeiter und ihm nicht ständig über die Schulter schauen, ob er die an ihn delegierte Aufgabe auch richtig und erfolgreich erledigt. Sie muss darauf vertrauen, dass der Mitarbeiter zur ihr kommt, wenn er sich abstimmen möchte und eine Frage hat. Vertrauen bedeutet auch, in schwierigen Situationen nicht die Dinge an sich zu reißen und zur Chefsache zu erklären, sondern die Mitarbeiter in der Verantwortung zu lassen. Ein starkes Signal für das Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter ist auch die Weitergabe von Informationen an die Mitarbeiter, deren Missbrauch die Führungskraft schädigen könnte. Sich abhängig zu machen von der Zustimmung und der Leistung der eigenen Mitarbeiter, schafft Vertrauen. Nur dann, wenn man selbst und zuerst Vertrauen schenkt, wenn man sich verwundbar macht, wird der Vertrauensmechanismus in Gang gesetzt.