Es ist gängige Praxis im Coaching, dass Coaches ihren Klienten helfen, eine eigene Lösung zu entwickeln, indem sie Fragen stellen. In manchen Situationen reicht es aber nicht aus, einfach nur eine Frage zu stellen und die Antwort zu hören. Gerade im Coaching sind die Probleme mitunter so komplex, dass sie mit einer einfachen Frage nicht gelöst oder geklärt werden können. Dann helfen spezielle Fragen weiter. Diese Feststellung erfordert aber eine genaue Klärung sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts der Fragen, die ein Coach seinen Klienten stellen sollte.
Um die Ecke fragen.
In den richtigen professionellen Händen sind kraftvolle Fragen sowohl einfach als auch so präzise wie chirurgische Werkzeuge. Mit nur wenigen kraftvollen Fragen kann ein Coach einem Klienten helfen, ungeahnte Potenziale zu entfalten, indem er einen fast magischen Perspektivwechsel bewirkt, und unbegrenzte Horizonte für die Entwicklung des Coachees eröffnen. Eine dieser kraftvollen Fragetechniken ist das zirkuläre Fragen. Zirkulär zu fragen bedeutet, um die Ecke zu fragen, zum Beispiel durch das Einbringen einer Außenperspektive. Diese systemische Fragetechnik wurde vom Mailänder Team um Mara Selvini Palazzoli, einer italienischen Psychoanalytikerin und systemischen Familientherapeutin, in den 1970er Jahren entwickelt, bei der ein Familienmitglied über zwei andere Auskunft geben soll.
Ungenannte Zusammenhänge werden greifbar.
Diese Fragetechnik ermöglicht es, Kunden, Kollegen und Ehepartner einzubeziehen, also alle, die mit dem Umfeld und der speziellen Art des Problems in Zusammenhang stehen und bislang ungenannte Zusammenhänge für den Coach und den Coachee greifbar machen. Dabei wird dem Coachee eine Frage gestellt, die zu Hypothesen über eine Haltung, einen Gedanken, eine Emotion, eine Wirkung anregt. Der Coachee wird so eingeladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich mit der vermuteten Realität anderer ihm verbundener Personen wie Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden zu beschäftigen. Der Coachee soll sich bewusst werden, wie seine Beschreibung der Situation von seiner vermuteten Realität und nicht von den Tatsachen selbst bestimmt wird. Er soll lernen, sich in die Welt seines Gegenübers einzufühlen und zu erkennen, dass seine Verhaltensweisen mit den Verhaltensweisen anderer verknüpft sind.
Beispiele für zirkuläre Fragen sind:
-„Was glauben Sie, was würde Ihr Vorgesetzter dazu jetzt sagen?
-„Wie würden schwierige Mitarbeiter reagieren, wenn Sie ihnen mit Kündigung drohen?
Beispiele
für eine zielgerichtete Frage wäre
-„Woran würde Ihr Chef merken, dass unser Coaching hier erfolgreich ist? Ihre Kollegen? Ihre Mitarbeiter?“
für eine auf ein Problem gerichtete Frage wäre
-„Wie würde X genau den Disput beschreiben?“
-„Wie erklärt sich der Mitarbeiter, der Ihnen am ehesten gewogen ist, das Problem? Der Ihnen am wenigsten gewogen ist?“
für eine auf einen Lösungsansatz gerichtete Frage wäre
-„Wenn Sie Ihr Vorhaben so in die Realität umsetzen: Wer würde sich am meisten darüber freuen? Wer am wenigsten?
-Wer wird Sie dabei am ehesten unterstützen?“
Gut geeignet in Team- oder Konflikt-Coachings.
Zirkuläre Fragen, sind Teil jedes systemischen Coaching-Prozesses. Das zirkuläre Interview kann vor allem dann eingesetzt werden, wenn einer Führungskraft ein Problem vorliegt, das den Umgang mit Mitarbeitern, Kollegen oder dem eigenen Vorgesetzten betrifft. Besonders wirksam ist das zirkuläre Interview in Team- oder Konflikt- Coachings, bei denen dem Coach nicht nur ein Coachee gegenübersitzt, sondern mehrere oder alle Mitglieder des relevanten Systems. Indem die anderen mithören können, was ihr Kollege über sie denkt und welche Vermutungen er über ihre Absichten und Verhaltensweisen hat, wächst das Verständnis untereinander. Damit wird es für alle Beteiligten leichter, aus eingefahrenen und als schädlich erlebten Mustern auszusteigen.
Zirkuläre Interaktionen erkennen.
Der Coachee soll erkennen, dass es neben der eigenen Realität noch andere Realitäten gibt und dass die Interaktionen von Menschen zirkulär miteinander verbunden sind. Der Coachee erhält auf diese Weise neue Informationen über sein Anliegen, sein Verhalten und seine Beziehungen zu anderen und kann so neue, kreative Lösungsansätze entwickeln. Der Coach gewinnt durch diese Fragetechnik Erkenntnisse, die ihm helfen, Hypothesen über Beziehungen und Interaktionsmuster im Umfeld des Coachees zu bilden und zu überprüfen. Das zirkuläre Interview ist typischerweise dann erfolgreich, wenn der Coachee z. B. eingesteht: „So habe ich das nicht gesehen.“ Oder: „Es könnte wirklich sein, dass ich ihn/sie da missverstanden habe.“
Implizite Verbundenheit sichtbar machen.
Ein zirkuläres Interview folgt keinem spezifischen Muster und ist nicht standardisierbar. Entscheidend ist die Haltung, mit der es durchgeführt wird. Wichtig ist, dass der Coach eine systemisch -konstruktivistische Sichtweise verinnerlicht hat. Er sollte sich selbst weitgehend von Kategorien wie „Ursache und Wirkung“, „Schuld und Unschuld“ oder „Richtig und Falsch“ gelöst haben. Für einen so denkenden und arbeitenden Coach sind nicht Individuen „das Problem“, sondern deren Interaktionen. Denn Menschen sind in ihrem Verhältnis zirkulär miteinander verbunden und der Coach muss bestrebt sein, diese meist nur implizite Verbundenheit sichtbar zu machen und die Beziehung zu verdeutlichen. Die Fragen sollen dem Coachee deutlich machen, wie sein Verhalten vom Verhalten anderer beeinflusst wird und wie es wiederum auf diese zurückwirkt. Der Coachee kann sich bewusst für andere Verhaltensweisen entscheiden, wenn sich daraus eine für ihn weniger problematische Situation bzw. Interaktion ergibt.
Für den Coach sind im zirkulären Interview folgende Fragen interessant:
- Wie beschreibt der Klient das Problem? Wie würden es seiner Meinung nach andere beschreiben?
- Was geschieht? Was wird dabei gefühlt und/ oder gedacht? Wie erleben die anderen Mitglieder des Systems das Geschehen?
- Was wurde zur Lösung bereits versucht?
- Wie sehen weitere Lösungsmöglichkeiten aus?
Besonders interessant sind dabei die sogenannten „Öffnungen“: Öffnungen sind Worte, mit denen der Klient Themen oder Ideen anspricht, die für ihn und/oder seine Umgebung bedeutsam sind. Einige Beispiele dafür, wie Öffnungen durch zirkuläre Fragen aufgegriffen werden können, sind für die Bereiche:
Verantwortung übernehmen
Wie merken Sie, dass X mehr Verantwortung übernimmt?
Wie merkt es Y, der Kollege von X?
Kundennutzen
Wie spricht wohl Kunde X mit seinen Kollegen über Sie und Ihre Mitarbeiter?
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich selbst jetzt so hören?“
Teamgeist
Welche Maßnahmen zur Verbesserung der Teamsituation haben sich in der Vergangenheit bewährt? (lineare Einleitung)
Von welcher Seite erwarten Sie Widerstand/Unterstützung für ähnliche Aktionen?
Was werden die Teammitglieder denken, wenn Sie sich wieder so verhalten?
Erfolg als Führungskraft
Wie werden Ihre Mitarbeiter reagieren/was werden sie tun, wenn Ihr Führungsverhalten besonders gelingt?
Was werden sie unterlassen?
Die Hypothesen, die den Coach zu den Fragen veranlassen, sollte er offenlegen und erläutern, indem er beispielsweise erklärt: „Ich denke im Moment, dass Ihr Mitarbeiter X Angst davor haben könnte, Ihnen gegenüber Schwächen zuzugeben. Lassen Sie mich dazu noch ein paar Fragen stellen….“. Diese Offenheit fördert auch beim Coachee oftmals die Bereitschaft, zunächst merkwürdig klingende zirkuläre Fragen wie „Wie würde X sich fühlen, wenn Sie einmal für zwei Monate für sie/ihn nicht erreichbar wären“? oder „Was denkt X wohl, ist Ihr Motiv, wenn Sie so handeln?“ zu beantworten.
Mit dem Blick aufs Ganze.
Zirkuläres Denken unterscheidet sich vom linearen kausalen Denken, das auf nachvollziehbare Ursache-Wirkung-Beziehungen abzielt. Zirkulär zu fragen, ermöglicht dem Coachee einen Perspektivwechsel, indem er über die angenommene Realität anderer, die mit ihm verbunden sind, nachdenkt. Der Perspektivwechsel kann helfen, eine Situation in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Zirkuläre Fragen machen komplexe Zusammenhänge sichtbar. Ohne die Beteiligten direkt befragen zu können, kann sich der Coach besser vorstellen, wie alle zusammenarbeiten und was ihre Unterschiede in der gleichen Situation wären. Die Relevanz dieser Fragetechniken aus der systemischen Therapie für die Coachingpsychologie ergibt sich daraus, dass sie die Einzelarbeit mit dem gesamten System oder der gesamten Organisation verknüpfen, in der der Coachee arbeitet.